Am nächsten Morgen ist es wie immer kalt. Die Hotelbesitzer sind nicht da, also gibt es auch keinen heißen Kaffee. Ich bepacke mein Motorrad und verschwinde in die Schönheit der bolivianischen Hochebene.
Ab und an warten kleiner Herausforderungen. Vereinzelte Gehöfte sind zu sehen.
Ich betrete den Eduardo Avaroa National Reserve of Andean Fauna. Es kostet 150 Bol. für vier Tage.
Es ist nur noch ein Katzensprung bis Quetena Chico, als ich diesen Fluss erblicke. Ich steige erstmal ab und mache Mittagspause in der Hoffnung, das ein Auto kommt, hindurch fährt und ich so die Tiefe abschätzen kann. Nach einer halben Stunde sehe ich einen Staubwolke am Horizont und einige Minuten später durchpflügt ein Jeep die Fluten. Die Wassertiefe erscheint mir als machbar. Aber es liegen größere Steine im Flussbett und die könnten mich zum Stürzen bringen. Ich laufe ein Stück stromaufwärts, doch dort versperrt mir ein Felsen den Weg. Ich fahre stromabwärts, doch auch dort wird es nicht besser. Ich schaue ins Navi und fahre auf eine Anhöhe, um eine Umgehung zu finden, aber nichts. Es gibt nur eine Chance etwas seitlich von der tiefen Stelle. Aber die ist sehr steinig und kann mich leicht aus dem Gleichgewicht werfen. Nach einer knappen Stunde nehme ich all meinen Mut zusammen und fahre drauf los. Mein Herz rast, meine Gedanken sind fokussiert, ich bin angespannt. Es sind etwa 10 m. Das Wasser ist so tief, dass ich die Füße anheben muss, um nicht nass zu werden. Ich verliere das Gleichgewicht und muss mit dem rechten Bein in das eiskalte Wasser eintauchen. Uhhhh, aber ich bin durch und es ist fast alles trocken geblieben. Halleluja !!
10 min später sitze ich im Hostel. Es gibt heißen Kaffee und einen wundervollen Blick auf den Uturuncu. Was wird morgen passieren. Ich werde es versuchen, Ausgang offen.
Der Nächste Morgen
Heute Nacht sollen es -17 Grad gewesen sein. Ich habe Raureif auf dem Sitz und am Fenster sind Eisblumen.
Nun kann man vielleicht darüber streiten, was noch als Straße zählt und was nicht. Mir ist das egal. Für mich war das einer der Tage, die ich nie vergessen werde. Die Voraussetzungen sind nicht ideal. Vor sieben Wochen habe ich am Vulkan Villarrica einen Minischlaganfall erlitten mit einem partiellen Gesichtsfeldausfall und vorübergehenden Sprachstörungen. Seitdem ist mein Herz in der Reha und ich habe nur eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Kurz darauf sind mir fast alle Speichen am Hinterrad gebrochen, was die Verlässlichkeit meines chinesischen Enduro in Frage stellt.
Es geht los. Ich starte in Quetena Chico auf ca. 4200 m. Der kleine Bach ist im Vergleich zu gestern ein Kinderspiel, trotzdem bin ich vorsichtig und schau mir die Sache erst einmal an. Dann geht es ohne Probleme hindurch.
Der Weg nach oben beginnt steinig. Es wird schnell warm und ich kann einiges ausziehen. Weitere Wasserhindernisse sind problemlos zu bewältigen. Die Natur zeigt sich von ihrer farbenfrohen Seite. Ich komme gut voran. Bis zum Ziel sind es 36 km. Ich benötige dafür mehrere Stunden.
Dann erreiche ich diese Schranke. Von einem Bolivianer hatte ich gehört, dass die Straße gesperrt sein soll. Aber für ein Motorrad ist das natürlich kein Hindernis. Es ist eine dicke Kette mit einem fetten Vorhängeschloss angebracht. Gut, es sieht so aus, als ob mich heute keiner stören wird. Allmählich gewinne ich an Höhe. Irgendwann fällt mir auf, das ich die ganze Zeit mit einem breitem Grinsen im Gesicht fahre, Vorfreude und Euphorie keimen auf. Die Luft wird dünner, doch ich fühle mich gut. Aber das schwerste Stück steht mir noch bevor.
Ich erreiche die obere Zone. Sie ist mit Schwefelgestein überzogen. Dämpfe treten überall aus und es riecht nach fauligen Eiern. Abrutschungen versperren mir den Weg. Ich kann die Serpentine nicht mehr benutzen und muss steil am Berg hinauffahren. Doch das Motorrad schafft es nicht. Ich kehre um und fahre 100 m zurück. Dann versuche ich es mit Vollgas und viel Schwung. Aber die Luft ist mittlerweile zu dünn geworden und die Maschine kann keine Kraft mehr entwickeln. Es fehlen mir vielleicht 5-10 m um wieder befahrbaren Weg zu erreichen. Also gut, ich steige ab, lege den ersten Gang ein, lasse vorsichtig die Kupplung kommen und renne nebenher. Mein Puls schießt sofort nach oben und ich bekomme keine Luft mehr. Es ist wie die Situation am Vulkan Villarrica, was ich doch unbedingt vermeiden wollte. Dort musste ich zwar über bedeutend längere Strecken schieben, aber das war 3500 m weiter unten gewesen.
Völlig erschöpft erreiche ich festen Boden, sichere das Motorrad mit letzter Kraft und falle in mich zusammen. Ich versuche erst einmal meinen Puls und die Atmung zu normalisieren. Dabei rechne ich ständig mathematische Aufgaben, um zu sehen, ob ich noch klar denken kann oder ob wieder ein Blutgerinnsel eine Vene in meinem Gehirn blockiert. Nach einigen Minuten fühle ich mich besser. Als mich so umschaue, bekomme ich den Eindruck, das dies kein guter Platz zum verweilen ist. Überall sind Abrutschungen zu sehen. Ich muss eine sichere Stelle finden. Also hoch und weiter.
Doch hinter der nächsten Kurve wird es auch nicht besser. Ein großes Geröllfeld liegt vor mir mit steilen Abhängen von mehren hundert Metern. Rechter Hand sehe ich einen riesigen, spitz zulaufenden Kegel der nur aus losem Gestein besteht. Hm, am besten nicht hinschauen. Mir ist etwas schwindelig, aber ich glaube das liegt nur an der dünnen Luft. Ich brauche nur eine Pause, um wieder mehr Sauerstoff in meinen Körper zu pumpen. Für das Geröllfeld brauche ich meine volle Konzentration. Wenn ich nur einen halben Meter vom Weg abkomme, ist alles vorbei. Also stelle ich die Maschine ab und lege ich mich flach auf den Boden. Sicherlich wird nicht ausgerechnet in dieser Minute eine Steinlawine losrollen. Es sind noch 200 Höhenmeter bis zum Ziel. Nach 10 Minuten stelle ich mir ein Ultimatum. Wenn ich jetzt aufstehe und ich bekomme keine Luft oder mir wird schwindlig, dann kehre ich um. Also hop. Ich habe keine Atemprobleme und das Schwindelgefühl ist nur minimal.
Es geht auf die letzten Meter. Wieder rechne ich 1x1, 2x2 und so weiter. Bei 14x14 fehlt mir die Fähigkeit, mich auf den Weg und die Aufgabe zu konzentrieren. Aber das sollte bei der dünnen Luft okey sein.
Und dann ist es da. Das Ziel ist erreicht. Ich bin so glücklich und gerührt, das mir eine Träne über die Wange läuft. Die Straße endet im Sattel zwischen den beiden Vulkankegeln. Man könnte jetzt noch zu Fuß bis zum Gipfel gehen, aber nein Danke. Das hatte ich eh nie vor,
Dies ist auch keine besondere Leistung. 5700 m ist keine außergewöhnliche Höhe. Einige junge Leute sind hier mit dem Fahrrad hoch gefahren und ich lasse mich von einem Motorrad hinauftragen. Aber das ist mir egal. Für mich, in meiner Situation ist das eine Leistung und ein Ziel, an das ich eigentlich nicht richtig glauben durfte. Ich habe es geschafft und es ist mein ganz persönlicher Mount Everest. Ich bin glücklich und darauf kommt es doch im Leben an.
Runter zu geht es bedeutend einfacher. Meine hintere Bremse hat zwar fast Null Wirkung aber der Boden ist griffig. Ich stelle sie nach, aber das Resultat ist nicht so wie erhofft. Zwischen durch halte ich kurz an und überprüfe mein Gesichtsfeld. Die Ausfälle können auch erst deutlich später auftreten. Dazu stelle ich mich in einiger Entfernung hinter mein Motorrad und schau auf das Rücklicht. Dann laufe ich drauf zu, den Blick immer auf das Rücklicht gerichtet. Dabei muss ich beide Blinker gut erkennen können. Sollte einer verschwinden, dann ist das nicht gut. Aber alles okey, kein Grund zur Sorge.
Ich verliere an Höhe und kann wieder durchatmen. Die Natur zeigt sich in ihren schönsten Farben.
Zu Letzt gibt es noch eine unfreiwillige Dusche. Ich dachte, ich durchquere den Fluss von heute morgen an der selben Stelle, doch ich habe mich geirrt. Es muss diesmal eine andere Furt gewesen sein und die war bedeutend tiefer. Eine riesige Wasserfontäne ergießt sich über mich. Ich bin sauber und pitschnass. Egal, es sind nur noch 500m bis zum Hostal.